Die europäischen Übersetzungskulturen wurzeln stark im philologischen Selbstverständnis der Humanisten, werden durch den Buchdruck befördert und greifen von der Antikenrezeption im Kontext einer zunehmenden Internationalisierung auf andere Wissensfelder über. Sprachliche, literarische und mediale Übersetzungsbewegungen bedingen sich gegenseitig und entfalten in ihrer permanenten Wechselseitigkeit eine kulturelle Dynamik. In der Folge wachsender Handelsbeziehungen kommt es zu einer europaweiten Intensivierung und Professionalisierung des Übersetzens. Diese wird gerade durch die potenzierte Mehrsprachigkeit und Territorialität im europäischen Raum beflügelt, strahlt über die kolonialen Wechselströme der Frühen Neuzeit weltweit aus und tritt dort in Interaktion zu eigenständigen Übersetzungskulturen, was zu globalen Rückkopplungen innerhalb Europas führt.
Die differenten Kulturen des Übersetzens werden dezidiert unter dem Aspekt der Internationalisierung und Globalisierung beleuchtet, gehen also sowohl über das zentrale Forschungsfeld der Antikenübersetzungen als auch die innereuropäischen Transferprozesse hinaus, die Wissenschaft, Politik und Handel zunehmend prägen. Das Forschungsprogramm riskiert damit bewusst, das europäische Epochenkonzept der Frühen Neuzeit mit alternativen Übersetzungskulturen weltweit zu konfrontieren, um daraus heuristische Impulse für die Epochenreflexion in Wissenschafts-, Kultur- und Literaturgeschichtsschreibung zu gewinnen.
Alternativ zu und im Zusammenspiel mit eingeführten Konzepten der Frühneuzeitforschung verfolgt das SPP 2130 einen Zugang, der mit dem Übersetzen auf eine Kulturpraxis fokussiert ist. Gemäß der interdisziplinären Anlage des Programms muss zwischen verschiedenen Translationsvorstellungen unterschieden werden. Während der Übersetzungsbegriff in den Sprach-, Literatur- und Translationswissenschaften meist in einem engeren Sinne verwendet wird und vorwiegend auf interlinguale Phänomene beschränkt bleibt, wird er in der Geschichts- und Kulturwissenschaft auch weiter gefasst und auf kulturelle, mediale und materielle Transferprozesse verschiedenster Art bezogen.
Das SPP 2130 legt daher einen Übersetzungsbegriff zu Grunde, der an verschiedene Translationstheorien anknüpft und für die Sprach-, Literatur-, Bild-, Musik-, Kultur- und Geschichtswissenschaften eine tragfähige Basis bietet:
Eine Übersetzung ist die Vermittlung einer sprachlichen Botschaft bzw. von sinntragenden Zeichen aus einer (Ausgangs-)Kultur A in eine (Ziel-)Kultur Z, mit dem Ziel, neue Adressaten zu erreichen und sich über sprachliche, räumliche, zeitliche, kulturelle und/oder mediale Grenzen hinweg zu verständigen.
Zentrale Aspekte der frühneuzeitlichen Übersetzungskulturen werden in drei Sektionen systematisch erarbeitet: Die erste Sektion „Zeichensysteme und mediale Transformationen“ widmet sich dem Zusammenhang von Übersetzung und Sprachreflexion, der Übersetzungstheorie, Semiotik- und Mediengeschichte. Die zweite Sektion „Anthropologie und Wissen“ untersucht die im Übersetzungsprozess verhandelten Menschen- und Geschlechterbilder, die Machtbeziehungen, sozialen Strukturen und epistemischen Ordnungen. Die dritte Sektion „Kulturelle Zugehörigkeiten und Gesellschaft“ fokussiert inter- und transkulturelle Übersetzungsphänomene, die aus raumübergreifenden und in vielen Fällen performativ hergestellten Kulturkontakten resultieren.
Der interdisziplinäre Austausch und die Zusammenarbeit im Verbund werden durch Projektgruppen auf Bearbeiter*innenebene (TransUnits) gestärkt und durch den regelmäßigen Austausch aller Projektbeteiligten auf den verschiedenen Veranstaltungen gewährleistet.
Den vollständigen Antragstext finden Sie hier.