Geographischem und anthropologischem Wissen sowohl über Europa als auch die außereuropäische Welt kommt im langen 18. Jahrhundert eine besondere Bedeutung zu. Über das allgemeine Erkenntnisinteresse der Aufklärung hinaus ist dies zum einen vor dem Hintergrund politischer, v.a. kolonial- und handelspolitischer, Interessen zu denken und zum anderen hinsichtlich der Bedeutung, die außereuropäischen Kulturen für die philosophische Reflexion über die Ordnungen der Welt und der eigenen, europäischen Gesellschaften zukam.
Enzyklopädische Wissenssammlungen wie Reisekompendien, Kolonialhistorien, Universal- und Sachwörterbücher versammelten und ordneten entsprechende Wissensbestände und stellten sie einem breiteren Publikum zur Verfügung. Nicht selten wurden sie zu vielrezipierten Bestsellern, die in unterschiedliche europäische Sprachen übersetzt wurden. Geographisches und anthropologisches Wissen zirkulierte folglich einerseits in einem transnationalen und transkulturellen Raum, der sich über den gesamten europäischen Kontinent und bis nach Übersee erstreckte. Andererseits erfuhren die Wissensbestände im Zuge ihrer Übersetzung eine Korrektur und Erweiterung, die insbesondere die Geographie der Zielkultur betrafen, in die bzw. für die das jeweilige Werk übersetzt wurde.
Über die Aspekte der Aemulatio des Ausgangstextes bzw. des self-fashioning des Übersetzers hinaus verweisen die Aktualisierung und Überarbeitung von Wissensbeständen auf ein sich wandelndes epistemologisches Verständnis. Augenzeugenschaft und Empirie wurden gerade für geographisches und anthropologisches Wissen eine immer stärkere Bedeutung zugemessen. Dies führte zu Verschiebungen hinsichtlich der Wissensproduzenten. Empirisches Anschauungswissen trat in Konkurrenz zu den kompilatorisch-philologischen Verfahren der Lehnstuhlgeographen und „armchair philosophers“. Im Kontext der Geographie und Anthropologie von Ländern der außereuropäischen Welt fand die Perspektive des außereuropäischen ‚Anderen‘ zunehmend Berücksichtigung. Die Wiederauflage und Neuedition von Schriften der Conquista-Literatur ist ebenso in diesem Kontext zu betrachten wie die ‚Berliner Debatte‘ um die Neue Welt oder die Adaptionen europäischer Wissensgattungen wie geographischen Sachwörterbüchern oder National- und Fachbibliographien im amerikanischen Raum.
Für die jungen Nationen bzw. die an der Schwelle zur Unabhängigkeit stehenden Länder Nord-, Mittel- und Südamerikas verband sich die Publikation von geographischen Wissenskompendien schließlich mit Prozessen der Autonomisierung von der (ehemaligen) kolonialen Metropole, mit Wortergreifung und der Entwicklung eines eigenständigen, nationalen Wissensraums.
Die Tagung nimmt sich vor, die genannten Aspekte ausgehend von Fallstudien zu beleuchten, in denen enzyklopädische Werke verschiedener Ausrichtung und aus unterschiedlichen Kulturräumen untersucht werden.
Kontakt und Anmeldung bei den Veranstalter:innen PD Dr. Susanne Greilich (Regensburg) susanne.greilich@ur.de und/oder Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink (Universität des Saarlandes) luesebrink@mx.uni-saarland.de